Erfurt (ap) - Der Malermeister Wolfgang Feige hat eine alte Kulturpflanze wiederentdeckt, der Erfurt einst seinen Reichtum verdankte. Aus den B1ättern des Färberwaids wurde damals ein Pulver hergestellt, mit dem Stoffe blau gefärbt werden konnten. In den goldenen Zeiten des Waidanbaus, zwischen 1230 und 1680, säten und ernteten die Bauern den Waid in über 300 Dörfern Thüringens.
,,Goldenes Vlies" wurden einst die zahlreichen Felder rings um Erfurt
genannt, die im Frühling in saftigem Gelb blühten. Mit Gold wurden
im Mittelalter auf dem Marktplatz in Erfurt die B1ätter des Kreuzblütlers
aufgewogen. Waidpulver wurde in viele europäische Länder exportiert,
und die Händler bauten sich jene prächtigen Bürgerhäuser,
die noch heute von den Touristen bewundert werden. Seit der Entdeckung
des Seeweges nach Ostindien gelangte im 16. und 17. Jahrhundert ein anderer
blauer Farbstoff auf unseren Kontinent. Das lichtechtere Indigo, mit dem
übrigens auch Jeans gefärbt werden, überschwemmte den einheimischen
Markt. In den vergangenen hundert Jahren wuchs Waid allenfalls nur noch
wild an vereinzelten Stellen und war regelrecht ,,vergessen" worden.
1980 begann der heute 65jährige Wolfgang Feige, die Pflanze aus
ein paar Samenkörnem im heimischen Blumentopf erneut zu züchten.
Später brachte er eine Handvoll in seinem Garten aus und begann aus
den B1ättern der etwa anderthalb Meter großen Waidpflanze nach
alten Rezeptbüchern wieder Farbpulver herzustellen. Er zerrieb die
B1ätter, formte aus dem Mus kleine Ballen, die er mit Ammoniak noch
einmal nachgären ließ, und versuchte, damit Stoffe zu färben.
"Es waren bestimmt über 3000 Versuche. Aber nicht etwa im Labor, sondern
zum Leidwesen meiner Frau hauptsächlich daheim am
Kochtopf",
schmunzelt Feige.
,,Ich konnte Stoffe färben und ich merkte auch, daß der
Waidsaft, der beim Zerreiben aus den B1ättern tropfte, tief ins Holz
eindrang", erzählt der pfiffige Malermeister. Und außerdem
spürte ich, dass meine Hände, die oft entzündet waren, schneller
heilten, wenn sie mit der Flüssigkeit in Berührung kamen."
Feige entwickelte Textilfärbepulver und Waid-Anstrichstoffe. Er
mixte sich Salben und Cremes auf Waidbasis. Mit seiner Besessenheit steckte
er nicht nur die Familie an, sondern bald auch das gesamte Dorf. Zunächst
wurde der Waid erst auf einem kleinen Versuchsfeld unterhalb der Wachsenburg
unweit von Erfurt wieder angebaut. Der kreative Malermeister rannte Wissenschaftlern
der Friedrich-Schiller-Universität Jena die Türen ein und steckte
sie mit seiner Begeisterung an.
Nach der Wende gründeten Feige und Sohn die Waidverarbeitungs-GmbH,
die unterdessen neun Mitarbeiter hat. Die Anbaufläche wurde auf 80
Hektar erweitert. Wichtigstes Standbein der Firma wurde die Holzimprägnierung.
Mit
ihren Mischungen aus Waid, Leinöl, Erdfarben und Eisenoxidpigmenten
schufen die Feiges eine große Angebotspalette: Vor allem die Denkmalpflege
interessierte sich für den pilzhemmenden, insektenabweisenden Waidanstrich,
der nach den Holzschutzmittelskandalen der letzten Jahre eine Alternative
darstellt. Wolfgang Feige erhielt in Nürnberg den Preis des Deutschen
Erfinders. Inzwischen hat er 15 Patente angemeldet, neun wurden bereits
bestätigt. Wie brisant seine Forschungen sind, musste er bitter erfahren,
als zu Jahresanfang in die Firma eingebrochen wurde. Man stahl die Computer
mitsamt der Disketten mit den Patentanmeldungen. Als eine Firma eigene
Patente im Münchener Patentamt anmeldete, die seinen aufs Haar glichen,
nahm er sich einen Rechtsanwalt.
Den größten Kundenkreis hat die Firma in den alten Bundesländern.
In Bayern wurde die Waidfarbe bereits bei Sanierungsarbeiten an Schlössern
angewendet. Auch zahlreiche Fachwerkhäuser in Hessen und Thüringen
weisen den
umweltschonenden Anstrich auf. Am Mittwoch wurden der Firma für
die Entwicklung von umweltfreundlichen Anstrichstoffen zum Holzschutz auf
der Basis dieser alten, nahezu vergessenen Kulturpflanze durch die Bundesstiftung
Umwelt 1,8 Millionen Mark zur Verfügung gestellt.