Der Stoff-Lernzirkel
Thomas Seilnacht Dieser Artikel richtet sich vorwiegend
an Lehrer und Lehrerinnen, welche bereit sind, sich auf eine neue Unterrichtsform
einzulassen. Aus diesem Grunde soll ein einfacher Lernzirkel als vorbereitende
Handlungsform für alle offenen Unterrichtsformen vorgestellt und dafür >Kopiervorlagen bereitgestellt werden. Der Einsatz des Lernzirkels kann im Anfangsunterricht
Chemie schon sehr frühzeitig stattfinden. Der Stoffparcours besteht
aus 10 Materialposten, die jeweils in zweifacher Ausführung angefertigt
werden sollten. Neben den sozialen und individuellen Lernzielen - wie die
Fähigkeit selbständig arbeiten oder miteinander kooperieren zu
können - beinhaltet er fachliche Lernziele wie:
Nach einer kurzen Erläuterung der Organisationsform
des Lernzirkels wird die Klasse in Zweiergruppen aufgeteilt und aus dem
Raum geschickt. Mit Hilfe zweier „eingeweihter“ Schüler werden die
10 Posten auf 10 Arbeitstische verteilt. Auf jedem Tisch befindet sich
ein Posten in zweifacher Ausführung. Nachdem die Gruppen in den Raum
hineingelassen wurden, sucht sich jede Gruppe einen Tisch aus und beginnt
mit der Arbeit. Ist eine Gruppe mit dem Posten fertig, wechselt sie den
Tisch. Zur Durchführung des Lernzirkels ist etwa eine Doppelstunde
notwendig. Es erweist sich als sinnvoll, keine Arbeitsblätter einzusetzen,
sondern die Schüler einen freien Bericht schreiben zu lassen, in welchem
sie über die Unterrichtseinheit reflektieren und Versuchsergebnisse
protokollieren. Die folgenden Auszüge aus Originalberichten von Schülern
stammen aus einer Klasse, welche zum ersten Mal einen Lernzirkel im Schulunterricht
durchgeführt hat.
„... Auch wird dem
Schüler, mehr oder weniger, Bewegungsfreiheit gelassen, durch das
ist der Unterricht nicht so langweilig, sondern viel lockerer. Man lernt
die Stoffe aus anderen Perspektiven kennen, und hin und wieder wechselt
man ein Wort mit dem Mitschüler. Der Klassenzusammenhalt wird gestärkt.
In anderen Fächern, wo der Lehrer seinen Stoff herunterquasselt, gähnt
jeder Schüler bestimmt einmal, das wird vermieden (...) Auch das Feststellen,
ob manche Dinge magnetisch sind, ist interessanter als wenn der Lehrer
eine Folie auflegt, welche Merkmale magnetisch sind...“ (Thorsten, 14 Jahre)
„...In den anderen Fächern
wie z. B. Biologie, Physik und Erdkunde wird alles im Schnellverfahren
erklärt und dann ins Heft geschrieben. So kann man es zwar lernen,
aber der Vorgang oder die Handlungsweise ist einem nicht klar. Vielleicht
gibt es eine Möglichkeit, auch andere Unterrichtsfächer so zu
gestalten. Denn ein ganz wichtiger Punkt ist: Die Zusammenarbeit wird gestärkt
und das Vertrauen gegenüber dem Partner...“ (Ute, 13 Jahre)
„...Das Ertasten verschiedener
Materialien bietet eine Fülle von Wahrnehmungen. Besonders, weil diese
Materialien nicht sichtbar sind, z. B. mit verbundenen Augen oder in einem
geschlossenen Behältnis, nur mit den Händen ertastet und erfühlt
werden können, so dass jede Beeinflussung des Tastsinnes durch das
Aussehen und die Formen ausgeschlossen ist...“ (Marion, 14 Jahre)
Der letzte Bericht bezieht sich im erweiterten
Sinne auf ein wesentliches, naturwissenschaftliches Erkenntnisproblem:
Viele chemische Vorgänge sind zwar rein äußerlich wahrnehmbar,
aber für Erklärungen im atomaren Bereich bewegen wir uns wie
der Schüler, der zum ersten Male einen Stoff mit verbundenen Augen
ertastet. Insofern ist die „blinde“ Annäherung an die Welt der Stoffe
und der Ausschluss der uns ablenkenden Sinnesorgane ein erster Schritt,
um chemische Erkenntnisprozesse besser verstehen zu können.Zur Erweiterung unseres Blicks für
die Natur benötigen wir in der Chemie Experimente (Posten 8 und 9),
die uns näher an die Naturgesetze bringen, aber auch die Gefahr in
sich tragen, uns von der wahrnehmbaren Lebenswirklichkeit zu entfremden,
da das Ergebnis eines Experimentes immer auch vom Experimentieraufbau mit
beeinflusst ist. Dieses Erkenntnisproblem würde an dieser Stelle für
die Schüler zu weit führen, sie sollen aber erkennen, dass neben
der sinnlichen Wahrnehmung auch andere Möglichkeiten existieren, um
die Natur zu ergründen.
Bauanleitung für den Lernzirkel Station 1: Das Erschmecken von Stoffen
In einer Kiste befinden sich Speisen, die
mit verbundenen Augen erraten werden sollen. Beispiele: Bitterschokolade
(bitter), Zuckerstücke (süß), Erdnüsse (salzig), getrocknetes
Zitronat (sauer), etc.
Station 2: Das Erriechen von Stoffen Gewürze oder Heilkräuter in Filmdöschen sollen mit verbundenen Augen erraten werden: Pfefferminze, Kamille, Lavendel, Nelken, Zimt, Wachholder, etc. Station 3: Das Ertasten von Stoffen Die Kiste enthält eine Sammlung völlig unterschiedlicher Materialien, die mit verbundenen Augen ertastet werden sollen: Gummi, Glas, Holz, Metallstück, Styropor, Wachs, Stoff, usw.. Dabei ist zu beachten, dass keine Alltagsgegenstände verwendet werden, sondern „Rohmaterial“. Station 4: Das Ertasten von Stoffen einer Form (Kugel) In dem Kasten sind ausschließlich Kugeln zu finden. Jede Kugel ist aus einem anderen Material: Metall, Holz, Papier, Styropor, Wachs (Kerze ohne Docht), Gummi (Vollgummiball), Tennisball, usw.. Station 5: Fallröhre Eine Röhre mit etwa 10cm Durchmesser und einem Meter Höhe (Pappröhre, Abwasserrohr aus dem Baumarkt) wird auf dem Tisch aufgestellt. In einer Kiste befinden sich verschiedene Gegenstände, die in die Röhre geworfen werden, während der Partner sein Ohr an die Röhre hält, um den Gegenstand an seinem Klang zu erkennen. Station 6: Ratebüchse In einer Büchse befinden sich drei Gegenstände: Salatöl (in Behälter), Zuckerstück, Kupferblech. Ein Teilnehmer sucht sich einen Gegenstand aus. Der Partner darf die Gegenstände nicht kennen. Er soll durch gezielt Fragen erraten, um was für einen Stoff es sich handelt. Bald wird er merken, dass Fragen nach stofflichen Eigenschaften relativ schnell zum Ziel führen. Station 7: Verformbare Stoffe Der Partner soll mit verbundenen Augen durch Ertasten und Verformen der Stoffe erraten, um was für Stoffe es sich handelt: Stofflappen, Gummiröhre, Zinnstange, Glasplatte, Holzleiste, Knet, Kunststoffleiste, etc.. Station 8: Die Magnetisierbarkeit von Stoffen Diverse Metalle und Nichtmetalle werden mit einem Magneten überprüft: Schwefelstück, Kohleelektrode, Glasstab, Aluminiumblech, Kupferblech, Holzleiste, Eisenstange, Nickeldraht und Kobaltstücke (beide in Reagenzglas eingeschmolzen!). Es zeigt sich, dass nur drei Metalle magnetisch sind. Station 9: Die elektrische Leitfähigkeit von Stoffen Der Kasten enthält eine Batterie, drei Kabel, vier Krokoklemmen und eine Glühbirne auf einem Brettchen zum Nachweis der Leitfähigkeit von folgenden Stoffen: Eisenstange, Kupferblech, Aluminiumblech, Zinkelektrode, Bleiblech, Schwefelstück, Glasplatte, Kohlelektrode, Holzleiste, Gummischlauch, Stofflappen. Station 10: Die Wärmeleitfähigkeit von Stoffen Drei Metallbleche von jeweils 8cm Länge und 1,5cm Breite sollen im Bezug auf ihre Wärmeleitfähigkeit miteinander verglichen werden. Es ist darauf zu achten, dass die drei Bleche dieselbe Stärke besitzen. Als Material eignet sich Kupfer, Eisen und Aluminium. Diese drei Metalle können mit dem Versuch gut unterschieden werden. Zur Überprüfung der Wärmeleitfähigkeit werden immer zwei Metallbleche gleichzeitig in zwei gleich hohe Kerzenflammen gehalten und ihre unterschiedliche Erwärmung am Ende der Bleche mit Daumen und Zeigefinger getestet. Kopiervorlagen Die >Arbeitsanleitungen werden kopiert und
auf die Materialkisten geklebt. Sie sollten vor dem Öffnen einer Kiste
durch die Arbeitsgruppen sorgfältig gelesen werden. Außerdem
ist dafür zu sorgen, dass jede Gruppe nach der Arbeit die Materialien
wieder in die Kiste legt und auf Vollständigkeit überprüft.
Zur Kontrolle kann auf die Unterseite des Deckels eine Materialliste geklebt
werden. Die restlichen 10 Kopiervorlagen erhalten Sie über das Downloaden
der Word-Datei.
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